20040426/kicker:Respekt ja,aber Angst habe ich nie

26.04.2004, 15:17

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Stuttgarts Jungstar Philipp Lahm (20): Kometenhafter Aufstieg

Vor einem Jahr kickte er, weitgehend unbeachtet, in der Regionalliga herum, heute hat Philipp Lahm (20) den Sprung in die Nationalelf geschafft. Schon nach zwei Länderspielen gilt der Stuttgarter als Hoffnungsträger für das kommende EM-Turnier.

Kleiner Mann ganz hoch: Überflieger Philipp Lahm im Kopfballduell mit Belgiens Thomas Buffel.

© Kicker

Sein Leben, sagt er, habe sich nicht verändert. "Gut, ich wohne jetzt nicht mehr bei meinen Eltern, sondern mit meiner Freundin Nevena zusammen, aber ansonsten?" Nach wie vor liebt er es lange zu schlafen, "am liebsten bis mindestens elf Uhr", mit Freunden beim Billard oder Bowling um das Mittagessen zu spielen - Verlierer zahlt - oder sich zu Hause beim Fernsehen oder an seiner Playstation zu vergnügen. Auch nach neun Monaten, die seine Fußball-Welt umgekrempelt, nein, auf den Kopf gestellt haben, sei er "der Gleiche" geblieben, meint er, "vielleicht bin ich einen Tick reifer geworden".

Philipp Lahm, Profi beim VfB Stuttgart, 20 Jahre jung. Noch vor einem Jahr hat er in der Regionalliga gespielt, bei den Amateuren des FC Bayern in seiner Heimatstadt München, weitgehend unbeachtet. "Ich hatte zwei gute Jahre dort", erzählt er, auf der rechten Seite einer Vierer-Abwehrkette, zentral-defensiv oder im rechten Mittelfeld. Nur, keinen schien's zu interessieren. Bayerns Profitrainer Ottmar Hitzfeld nicht, die vielen Späher anderer Bundesliga-Klubs, die sich Woche für Woche auf den Regionalliga-Plätzen tummeln, ebenso wenig. Immerhin, Hermann Gerland wusste genau, welcher Hochkaräter da in seinen Reihen heranreift. "Wenn ich den Philipp so gesehen habe", sagt der Amateurtrainer des FC Bayern, "dann dachte ich immer: Der hat schon im Mutterleib Fußball gespielt."

Und genauso war's ja auch. Na gut, fast genauso. "Meine Mutter ist heute noch Jugendleiterin bei meinem Heimatverein FT Gern", erzählt Lahm. "Wir waren immer auf dem Fußballplatz. Meine Mutter ist schuld, dass ich nichts besser kann als Fußballspielen."

Und wie er dies kann. Trotz seiner schmächtigen Statur - gerade einmal 62 Kilogramm verteilen sich auf 1,70 Meter - besticht er durch seine Zweikampfstärke am Boden und in der Luft; er wirkt technisch wie taktisch sehr gut geschult, ballsicher, trickreich, schnell und dribbelstark.

Dieser Junge sei zu schade für ein drittes Jahr Regionalliga, dachte sich Gerland, rief vor Beginn dieser Saison Felix Magath an und riet dem Stuttgarter Teammanager zur Verpflichtung des vielseitigen Talents. Magath griff zu, unbesehen, der VfB lieh Lahm, der bei den Bayern einen bis 2007 laufenden Vertrag besaß - und besitzt -, für zwei Jahre und eine Gebühr von gerade einmal 200 000 Euro aus. Ein kometenhafter Aufstieg begann.

Der Mann, den Magath zunächst als Alternative zu Andreas Hinkel auf der rechten Seite seiner Viererkette sah, kam am sechsten Spieltag in der Partie gegen Dortmund erstmals von Beginn an zum Einsatz - als Rechtsfüßer auf der linken Seite des Stuttgarter Defensivverbands, wo er Ex-Nationalspieler Heiko Gerber verdrängte. Diesen Platz gab er seither nicht mehr preis, auch wenn er in den jüngsten Bundesligaspielen, nach der Bänderverletzung Hinkels, auf der rechten Seite "aushalf".

Unverbraucht und doch abgebrüht, frech und doch diszipliniert trat Lahm vom ersten Tag an auf, ohne Scheu vor großen Namen. Wo er im Mai 1999 als Bayern-Fan am Fernseher noch gelitten hatte, als die Münchner das Champions- League-Finale gegen Manchester in der Nachspielzeit noch aus der Hand gaben, da spielte er am 1. Oktober 2003 mit dem VfB plötzlich selbst gegen die Engländer, gegen Ryan Giggs. Und er spielte genauso unverbraucht und doch abgebrüht, frech und doch diszipliniert wie in der Bundesliga. Das große ManU, der geniale Giggs? "Sicher hatte ich Respekt", sagt er, "aber Angst habe ich nie." Angst habe im Fußball nichts zu suchen, "wer Angst hat, soll zu Hause bleiben".

Nach nur fünf Bundesliga-, zwei Champions-League-Spielen und einem Einsatz in der U 21 wurden die ersten Rufe "Lahm für Deutschland" laut. "Damals dachte ich mir nur: Langsam, Leute", erinnert er sich, "macht mal langsam."

Doch es ging weiter verdammt schnell. Im Februar 2004 wurde aus Philipp Lahm, 20 Jahre jung, Profi beim VfB, der 826. Nationalspieler in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes. Fast überflüssig zu erwähnen, dass er in seinem ersten Länderspiel, beim 2:1- Sieg in Kroatien, und bei seinem zweiten und bislang letzten Auftritt gegen Belgien (3:0) genauso auftrat wie in der Bundesliga und in der Champions League: Unverbraucht und doch abgebrüht, . . . Sie wissen schon.

Vor dem Länderspiel in Rumänien gilt Lahm als gesetzt auf der linken Abwehrseite. Ein Rechtsfüßer ("Ich würde nie von mir behaupten, dass ich beidfüßig bin") hat sich aufgemacht, eine der größten Schwachstellen im Spiel der deutschen Nationalelf zu beseitigen. Wo er spiele, sagt Lahm, sei ihm so was von egal, "meine Lieblingsposition ist auf dem Platz". Ja, es gebe durchaus auch Vorteile für einen Rechtsfüßer auf der linken Seite. Dort könne er "gut nach innen ziehen" und mit seinem starken Fuß aufs Tor schießen, "und inzwischen kann ich ja auch mit links ganz gut flanken". Und was die Defensivaufgaben angeht, so mache die Seite keinen Unterschied: "Rechts ist es das Gleiche wie links", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln, "nur auf der anderen Seite."

Philipp Lahm, 20, Fußballprofi. Über seine Zukunft mache er sich derzeit "keine Gedanken", sagt er. "Ich gehe davon aus, dass ich 2005 zu den Bayern zurückgehe, weil ich dort einen Vertrag bis 2007 habe." Auch über die vor der Tür stehende EURO will er noch nicht groß sprechen, "obwohl ich natürlich hoffe, dass ich dabei bin". Wovon mit Sicherheit auszugehen ist. Und Sie dürfen schon mal darauf wetten, wie Philipp Lahm dann in Portugal auftreten wird: Unverbraucht und doch . . .


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