EM-Held Lahm freut sich schon auf Klinsmann

Philipp Lahm war im EM-Halbfinale gegen die Türkei Sinnbild der deutschen Mannschaft in diesem Turnier: Er agierte phasenweise unkonzentriert. Doch mit seinem Siegtreffer wurde er zum Helden. "Das war das wichtigste Tor meiner Karriere", sagte Lahm, der bald wieder mit Jürgen Klinsmann arbeitet.

26.06.08,Von L. Wallrodt, R. Köttker, L. Gartenschläger

https://www.welt.de/sport/em2008/article2148732/EM-Held-Lahm-freut-sich-schon-auf-Klinsmann.html

Das Spiel war für Philipp Lahm nicht gut gelaufen. Im Gegenteil: Der 24-Jährige hatte im EM-Halbfinale gegen die Türkei seinen Torwart mit einem Querpass im eigenen Strafraum in die Bredouille gebracht, war am ersten Gegentor indirekt beteiligt und beim zweiten der Hauptschuldige, weil Gegenspieler Sabri ihn erst tunnelte und dann stehen ließ wie einen Statisten. Dass ihm zudem Schiedsrichter Massimo Bussaca einen Elfmeter oder zumindest einen Freistoß verwehrte, als Lahm in der 52. Minute an der Strafraumgrenze gefoult wurde, passte ins Bild eines bis dato unbefriedigenden Arbeitstages des Außenverteidigers.


Und trotzdem sollte alles gut werden: Weil ein Traumpass von Thomas Hitzlsperger die türkische Verteidigung zerteilte. Weil Lahm in die Lücke stieß und die Nerven behielt. Und weil Lahm die Übersicht behielt, obwohl der türkische Torwart Rüstü Recber alles richtig machte. Er versperrte Rechtsfuß Lahm über halblinks die rechte Ecke. Doch der zielte nach links und traf in der 90. Minute zum 3:2 – das Tor zum Finale. 

Der Rest war Jubel: Mutter Daniela sprang auf der Tribüne auf und ab wie die beiden Kaninchen des Sohnemanns, Milky Way und Brownie. Später sagte sie bei "N24": "Das war kaum noch auszuhalten. Bei dem Spiel war es dann irgendwann so, dass ich mir gedacht habe: Das können wir überhaupt nicht mehr schaffen. Aber: Geht doch." Lahm hatte sie und weitere Verwandte extra zur moralischen Unterstützung nach Basel einfliegen lassen. Auch Freundin Claudia fieberte im St. Jakob-Park mit.


"Da ist nur noch Freude"


Lahm selbst stürmte nach seinem Treffer zur deutschen Bank, wurde dort geherzt und gedrückt, sagte später dann mit glänzenden Augen: "Nach so einem Tor denkt man nicht mehr. Da ist nur noch Freude." Zum Glück hatte er kurz zuvor seinen Verstand eingeschaltet gelassen: "Ich habe mir angeguckt, was der Torwart macht und bewusst so geschossen", erzählte er und schmunzelte: "Üben konnte ich das aber nicht. Im Training darf ich nicht im Strafraum schießen."


Nach dem Spiel wurde er zum "Man of the match" ausgerufen, was ihm einen gewichtigen Pokal einbrachte und nebenbei den Beweis lieferte, dass die "Technical Study Group" des Europaverbandes Uefa, die den Preis vergibt, offenbar auch nicht streng nach statistischen Kriterien entscheidet. Schließlich erklärte selbst Lahm, dass ihm die Auszeichnung ein bisschen peinlich wäre: "Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum ich sie überhaupt bekommen habe. Es hätte sicherlich andere Spiele gegeben, wo ich es eher verdient gehabt hätte."


Zum Beispiel beim Auftakt der Weltmeisterschaft 2006, als die Welt Philipp Lahm kennen lernte. In München war er gegen Costa Rica nach sechs Minuten fulminant von links nach innen gezogen und hatte die WM mit einem Traumtor in den rechten Winkel eröffnet. Den Titel des "Spieler des Spiels" schnappte ihm damals allerdings Miroslav Klose weg, dem Lahm noch eines von dessen zwei Toren auflegte.


Große Vereine hatten plötzlich Interesse an dem kleinen Kämpfer. Im vergangenen Winter verkündeten spanische Medien bereits den Wechsel des Verteidigers zum FC Barcelona, was sich später als voreilig herausstellte. Zwar hatte Jordi Badia, der Kommunikationsdirektor des katalanischen Klubs, Lahm als einen "Spieler mit internationaler Klasse" gelobt, der "uns von seinen Eigenschaften her gut gefällt". Aus einem Wechsel wurde dennoch nichts.


Gespräche mit Klinsmann


Zwar zog Bayern München zwischenzeitlich beleidigt ein Angebot zurück, das Lahm nicht umgehend angenommen hatte. Doch Jürgen Klinsmann, der den deutschen Rekordmeister in der kommenden Saison trainieren wird, überzeugte Lahm zu bleiben. "Er hat mir deutlich gemacht, wie die Zukunft hier aussehen soll. Ich glaube, was er bei der Nationalmannschaft geschaffen hat, kann auch in München funktionieren", schwärmte Lahm und verlängerte im Mai seinen Vertrag vorzeitig bis 2012.


Ohnehin wirkte es fast paradox, als der bodenständige und heimatverbundene Philipp Lahm öffentlich mit einem Wechsel ins Ausland kokettierte: "Ich habe ein Umfeld, in dem man mich als 'Philipp von früher' und nicht als 'Philipp, den Fußballer' wahrnimmt. Das ist mir wichtig."


Die vertragliche Sicherheit freute nicht nur Lahm, sondern auch den Bundestrainer, der aktuell am Beispiel von Stürmer Mario Gomez registrieren muss, wie leistungshemmend sich Verhandlungen während der EM auswirken können. Lahm jedenfalls bewies mit seinem Tor gegen die Türkei enorme mentale Stärke: "Nur so ist es möglich, dass man dann noch späte Tore erzielt."


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